Das folgende Porträt meiner Mutter Christa Berbig schrieb Stefan Krieg, er wurde veröffentlicht im „Schweriner Kurier“ vom 25.10.2008. Da er vom Kurier nicht im Netz zur Verfügung steht, möchte ich ihn an dieser Stelle veröffentlichen.
Michael Friedrich
Schreiben ist leicht, man muss nur die falschen Wörter weglassen“, steht auf einer Karte, die Christa Berbig an einem Regal gleich neben dem Fenster befestigt hat. Ob das ihr Motto ist? Vielleicht, allerdings hat sie erst als Rentnerin (sie wird im nächsten Jahr 70) begonnen, Geschichten zu notieren. Einige davon sind bereits als Buch erschienen, zuletzt „Die Schöne am See“. Oh, ein Roman über eine Nixe oder eine Reportage über einen Model-Wettbewerb? Reportage und Roman trifft’s beides nicht so richtig. Und bei der „Schönen“ handelt es sich schlicht um Schwerin.
Bei Christa Berbig ist die Stadt nicht einfach ein Gemeinwesen mit tausenden von Einwohnern. „Man sagt ja auch die Stadt, die Stadt ist also weiblich“ erläutert die Autorin, „und so hatte ich die Idee, die Geschichte Schwerins so zu schreiben,als sei die Stadt eine Frau, die schon viele Herrscher hatte.“

Fast auf den Tag genau vierzig Jahre lebt Christa Berbig nun schon hier, und dennoch kann sie die Entwicklung Schwerins auch ein wenig aus der Distanz betrachten. Geboren 1939 im heutigen Tschechien kam sie 1946 zusammen mit Mutter und Bruder als Flüchtling in ein Quarantänelager nach Damgarten, von dort aus ging es im harten Winter 1947 weiter nach Altranstädt in die Nähe von Leipzig, wo sie erstmals die Schule besuchte, das Abitur ablegte und direkt danach als Chemielaborantin in einer Stahlschmelzerei arbeitete. Im Jahr 1960 zog sie nach Perleberg und half Motorrad fahrend, für die Landwirtschaft Statistiken zu erstellen.
Mit Literatur hatte das alles eher wenig zu tun. Aber Stoff für Texte sammelte sich schon an. Zum Beispiel über ihre Zeit in Altranstädt: „Geschichten aus dem Negerdorf„. Dieses Buch hatte sie zunächst bei einem Klassentreffen in Altranstädt verteilt. Viele ältere Bewohner des sächsischen Ortes, der jetzt zu Markranstädt gehört, freuten sich, über die Erlebnisse von Christa Berbig zu lesen, und fühlten sich in alte Zeiten zurückversetzt.
Schreiben lernte die Wahlschwerinerin noch auf einer Schiefertafel. Und das Lesen brachte der kleinen Christa ihre Mutter bei – mittels Liebesromanen. Berbig schmunzelt: Wir haben eben das genommen, was da war.
In den sechziger Jahren begann sie ein Pädagogik-Fernstudium und arbeitete schließlich in Schwerin als Heim- und Horterzieherin, später gab sie Schulgarten-, Kunsterziehungs-, Biologie und Chemiestunden. Mit 52 Jahren, das war im Jahr 1991 und sie schon keine Lehrerin mehr, habe sie zum ersten Mal an einem Computer gesessen, erinnert sich Christa Berbig. Als technische Mitarbeiterin bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft musste sie sich in die neue Rechentechnik einfuchsen. Nun ist der Laptop ihr wichtigstes Arbeitsmittel.
Die Ehefrau, Mutter von vier Kindern und Oma von vier Enkeln schreibt ihre Erlebnisse auf, viele behält sie aber nur in ihren Gedanken. Manche sind verbunden mit Erinnerungsstücken. So erzählt sie die Geschichte von dem guten Porzellangeschirr, das ihre Mutter mal besessen hat und das genau an ihrem neunten Geburtstag zu Bruch ging, weil ein Nagel das Regal nicht mehr halten konnte. Nur ein Teller überlebte den Sturz. Und den bewahrt sie noch immer auf – zur Erinnerung.
„Ich lege keinen Wert darauf, Besitz zur Schau zur stellen“, sagt sie. „Ich habe es mehrfach erlebt, dass man etwas zurücklassen muss und kann. Dinge, die der Mensch besitzt, sind nicht so wichtig.“ In das Bild, das Berbig da von sich skizziert, passt auch, dass sie sagt, ihr sei es äußerst unangenehm, andere um etwas zu bitten. Sogar das Verkaufen liegt ihr äußerst fern. So kostete es sie zum Beispiel viel Überwindung, ihr Schwerin-Buch auf dem Altstadtfest anzubieten. Aber sie tat es mit Erfolg.
Christa Berbig schrieb auch schon eine Familienchronik, arbeitete am Zeitzeugenprojekt des Seniorenbüros mit und stellt derzeit eine Abhandlung zum 90. Geburtstag ihrer Gartensparte zusammen – Fakten, Tatsachen, Erlebnisse. Wird es da nicht Zeit für den ersten Roman? Christa Berbig schaut, als ob sie mit dieser Frage bereits gerechnet hat: „Habe ich schon liegen als Manuskript mit Stoffsammlung. Ich hoffe, dass der Roman nächstes Jahr fertig ist.“
S. Krieg